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15.05.2020

Literatur- und Netztipps

Carsten Brosda: Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft

Von: Georg Halupczok

Carsten Brosda, Hamburger Senator für Kultur und Medien und Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie, beginnt sein Buch Die Kunst der Demokratie – Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft mit einem Zitat von Willy Brandt aus dem Jahr 1992: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“ Gemeint ist damit, dass die Werte und Normen einer Gesellschaft ständig neu verhandelt, neu verteidigt, begründet und gesichert werden müssen.

Das Privileg Fragen zu stellen
Brosda konstatiert, dass nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Industrienationen populistische Rückschritte festzustellen sind und „sich zunehmend verbreitende rechtspopulistische bis rechtsextreme Kritik an den demokratischen Zuständen [...] gegen die erreichte Versöhnung der individuellen Freiheit mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt [richtet]“. Außerdem stellt er fest, dass Kunst und Kultur mit als Erste ins Visier der Gegner einer offenen Gesellschaft geraten. Es sei „daher höchste Zeit, sich aus der demokratischen Mitte heraus der Kultur und ihrer Leistungen für den Grundkonsens unserer offenen, vielfältigen und freien Gesellschaft [...] zuzuwenden. „In einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche „kann Kultur als gesellschaftlich sinnstiftende, persönlichkeitsbildende und integrative Kraft wirken“. Auch unter Berücksichtigung des Ansatzes „Kultur für alle“ ist es daher eine zentrale kulturpolitische Aufgabe, „kulturelle Angebote auch an die sogenannten bildungs- und kulturfernen Milieus heranzuführen“. Die Rolle der Kunst sieht Brosda dabei durchaus als zentral an, denn sie habe „das Privileg, Fragen stellen zu dürfen, ohne die Antworten darauf finden zu müssen“.

Plädoyer für eine selbstbewusste Kulturpolitik
Kultureinrichtungen definiert er als „Räume der Freiheit, des riskanten, des spekulativen Denkens, in denen Freiheit in Gemeinschaft erfahren und verhandelt“ werden kann. Das Buch von Carsten Brosda ist auch als starkes Plädoyer für eine selbstbewusstere Kulturpolitik zu verstehen. „Die entscheidende Aufgabe wird es in Zukunft sein, die gezielten Allianzen zwischen Ländern und Bund zu stärken und zu vertiefen, ohne dabei die bewährte Kompetenzverteilung infrage zu stellen. Hier kann die neue Kulturministerkonferenz ansetzen und neue Räume für Kultur und ihre Diskurse schaffen. Sie schafft ein neues Forum, in dem Grundfragen der Kulturpolitik verhandelt werden können.“

Das Themenspektrum ist dabei umfangreich, es reicht vom kulturellen Erbe einer durch Migration geprägten Gesellschaft über die Aufarbeitung des Kolonialismus und die Digitalisierung von Kulturgut bis hin zur Bedeutung von Kultur in ländlichen Räumen. Das Buch von Carsten Brosda ist eine anspruchsvolle Lektüre. So verdichtet er seine Gedanken oft zu komplexen Sätzen, die nicht leicht zu erschließen sind. „Kunst und Kultur kreisen um die Sinnfragen, um jene Dimensionen der Kohärenz, die eine Gesellschaft braucht, um nicht nur in sozial funktionalistischen Mechanismen, sondern auch in normativ-pragmatischer Verständigung zu sich selbst zu finden.“ Man muss nicht jeden Aspekt oder jede These des Buches teilen. Wer sich aber mit der Wirkung von Kunst und Kultur in einer sich drastisch ändernden Gesellschaft auseinandersetzen will und Lust am Denken hat, erhält mit diesem Buch dazu die Möglichkeit und ist auch gefordert, eigene Positionen kritisch zu hinterfragen.


Die Kunst der Demokratie. Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft | Carsten Brosda | Hoffmann und Campe 2020 | 256 Seiten | ISBN978-3-455-00840-1 | 24,00 Euro | Link zum Verlag


 

Autor*innen

  Georg Halupczok Vorstandsvorsitzender Bundesverband Soziokultur e.V. georg.halupczok@soziokultur.de

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